Neu anfangen

10 9 8 ... 3 2 1 Neujahr. Silvester ist eine Sekundengenaue Schleuse, durch die wir ins neue Jahr treten, in einen neuen Zeitraum mit einem Boden aus Schnee, der die ganze Welt bedeckt und ihr solch eine wunderbare Frische gibt. Die weiße Schicht lässt die alten Wege verschwinden, und die unberührten Flächen sind ein Spiegel der neuen Möglichkeiten, die das Leben bereithält.

Zögerlich stehe ich am Fenster und schaue in die Weite, bevor ich tatsächlich die Tür öffne, um hinauszutreten. Ab jetzt werde ich sichtbare Spuren hinterlassen. Wohin ich gehe, wird man sehen. Ich wiederhole diesen Satz mehrmals gedanklich. Wohin ich gehe, wird man sehen, und ich spüre, wie er eine besondere Tür in meinem Bewusstsein öffnet und durch sie eine Flut von Assoziationen hereinkommt, die mich einmal von oben bis unten durchspült.

Um zu leben, muss ich gehen. Ich kann gar nicht anders. Und während ich gehe, hinterlasse ich eine Spur in der Welt. Ich erinnere mich an den Film 'So viel lebst Du', der den "Footprint" des Menschen sichtbar macht, in dem er die Konusumgewohnheiten eines Deutschen ganz detailliert erfasst und in der gesamten Masse darstellt. Und da kommt so einiges zusammen: Nach den Recherchen der Filmemacher trinkt jeder von uns in seinem Leben durchschnittlich 7000 Liter Milch, die verpackt und transportiert werden müssen, und er verbraucht 3651 Rollen Klopapier, 5192 Brotlaibe, 6859 Mohrrüben und eine Million Liter Wasser. Alles in allem produziert jeder von uns im Laufe seines Lebens 38,5 Tonnen Verpackungsmüll. Diesen Haufen möchte ich ungern in meinem Garten haben. Glücklicherweise liegt er auch nicht hier, sondern woanders und doch gehört er zu mir.

Die Masse der eigenen Handlungen als Ganzes zu sehen, kann ganz schön erdrückend und deprimierend sein. Ich kann leicht in so eine Starre verfallen, in der ich dann einfach alles sinnlos und nur noch deprimierend finde, und keinen Glauben mehr in mir habe, dass wir an der Zerstörung der Erde noch etwas ändern können. Dann hilft es, vom ganz Großen wieder auf das Kleine zu kommen und mir kommt die Geschichte des tibetischen Mönchs in den Sinn, der zu Fuß monatelang ganz alleine über den Himalaja nach Indien geflüchtet ist und dort gefragt wurde, wie er diese Strapaze schaffen konnte. Er antwortete: „Schritt für Schritt.“

Das heißt, wenn ich ab jetzt jeden Tag nur eine Kleinigkeit ändere, dann sind das in einer Woche schon sieben und in einem Monat 210 und in einem Jahr...

Und so habe ich, bevor ich den ersten Fuß in den Schnee setze, doch noch einen Vorsatz für dieses Jahr gefunden. Ich werde langsam gehen. Schritt für Schritt und ab und zu nach hinten sehen, was ich hinterlassen habe.